1.2. Die Gründungsurkunde

Einige Jahre nach seinem ursprünglichen Start formulierte Debian die Prinzipien, denen es als Projekt für freie Software folgen wollte. Dieser wohlüberlegte Schritt ermöglicht geordnetes und friedliches Wachstum, indem er sicherstellt, dass sich alle Mitglieder in dieselbe Richtung bewegen. Um Debian-Entwickler zu werden, muss jeder Kandidat die Unterstützung und die Einhaltung der in den Grundlagendokumenten des Projekts festgelegten Prinzipien bestätigen und nachweisen.

Der Entwicklungsprozess wird ständig diskutiert, aber diese Grundlagendokumente erfahren breite und einvernehmliche Unterstützung und ändern sich daher nur selten. Die Debian-Verfassung bietet eine weitere Gewähr für seine Stabilität: Eine qualifizierte Dreiviertelmehrheit ist erforderlich, um eine Änderung zu genehmigen.

1.2.1. Die Verpflichtung gegenüber den Benutzern

Das Projekt verfügt auch über einen „Gesellschaftsvertrag“. Was hat ein solcher Vertrag in einem Projekt zu suchen, das nur dazu gedacht ist, ein Betriebssystem zu entwickeln? Ganz einfach: Debian arbeitet für seine Benutzer und damit auch für die Gesellschaft. Dieser Vertrag fasst die Verpflichtungen zusammen, die das Projekt eingeht. Lassen Sie sie uns näher betrachten:

Debian wird zu 100% frei bleiben.
Dies ist die wichtigste Regel. Debian besteht und wird weiterhin vollständig und ausschließlich aus freier Software bestehen. Zusätzlich wird auch alle Softwareentwicklung innerhalb des Debian-Projekts selbst frei sein.
AUSBLICK Über die Software hinaus
In der ersten Version des Debian-Gesellschaftsvertrags hieß es: „Debian wird zu 100% freie Software bleiben.“ Das Verschwinden dieses letzten Wortes (mit Verabschiedung der Version 1.1 des Vertrages im April 2004) lässt die Absicht erkennen, Freiheit nicht nur bei der Software zu erreichen, sondern auch bei der Dokumentation und allen anderen Bestandteilen, die Debian innerhalb seines Betriebssystems zur Verfügung stellen möchte.
This change, which was only intended as editorial, has, in reality, had numerous consequences, especially with the removal of some problematic documentation. Furthermore, the increasing use of firmware in drivers poses problems: many are non-free, yet they are necessary for proper operation of the corresponding hardware. With the ratification of Version 1.2 of the contract in 2022, just before the Bookworm release, the project decided to address this issue with an addition to the last item in the contract.
Wir werden der Gemeinschaft, die freie Software entwickelt, etwas zurückgeben.
Jede vom Debian-Projekt eingebrachte Verbesserung eines in der Distribution enthaltenen Werkes wird seinem Autor zurückgesendet (dies wird „upstream“ genannt; übersetzt etwa „stromaufwärts“). Überhaupt arbeitet Debian mit der Gemeinschaft zusammen und nicht isoliert.
GEMEINSCHAFT Upstream-Autor oder Debian-Entwickler?
The term “upstream author” means the author(s)/developer(s) of a work, those who write and develop it. On the other hand, a “Debian developer” usually uses an existing work to transform it into a Debian package - the term (Debian or downstream) “maintainer” is better suited here.
In der Praxis kann es Überlappungen zwischen diesen Rollen geben: Der Debian-Betreuer kann einen Patch schreiben, von dem alle Nutzer des Werkes profitieren. Debian ermutigt generell alle Debian-Paketverantwortlichen, auch an der Upstream-Entwicklung mitzuarbeiten. Sie werden in diesem Fall zu „Mitwirkenden“ (contributors), ohne auf die Rolle von einfachen Programmnutzern beschränkt zu sein. Oder der Debian-Entwickler erstellt Tools oder Dokumentation für die Debian-Distribution, wie Paketierungshilfen (z. B. debhelper) oder Integrations-Frameworks (z. B. ca-certificates) und wird ein „Upstream-Autor“ für diese Werke.
Wir werden Probleme nicht verbergen.
Debian ist nicht perfekt, es wird jeden Tag neue Probleme geben, die es zu lösen gilt. Debian wird seine Fehlerdatenbank für alle Zeiten öffentlich betreiben. Fehlermeldungen, die von Personen online abgeschickt werden, werden unverzüglich für andere sichtbar.
Unsere Prioritäten sind unsere Anwender und freie Software.
This commitment is more difficult to define. Debian imposes, thus, a bias when a decision must be made, and will discard an easy solution for the developers that will jeopardize the user experience, opting for a more elegant solution, even if it is more difficult to implement. This means to take into account, as a priority, the interests of the users and free software. Multiple roles within the project are dedicated to help achieving this goal.
Arbeiten, die nicht unseren Standards für freie Software genügen.
Debian akzeptiert und versteht, dass Anwender unfreie Programme nutzen können möchten. Deshalb erlaubt das Projekt ihnen die Nutzung von Teilen seiner Infrastruktur, um auch nicht freie Software sicher als Debian-Paket verteilen zu können.
GEMEINSCHAFT Für oder gegen den unfreien Bereich?
Die Zusage, eine Struktur zur Unterbringung unfreier Software zu unterhalten (nämlich im Bereich "non-free”, siehe Seitenleiste VOCABULARY The main, contrib, non-free, and non-free-firmware archives) ist in der Debian-Gemeinschaft immer wieder Diskussionsthema.
Gegner argumentieren, dass dieser Bereich die Leute von Freie-Software-Entsprechungen abbringt und dass er dem Prinzip, nur der Sache der freien Software zu dienen, widerspricht. Befürworter erklären rundweg, dass die meisten unfreien Pakete „fast frei“ sind und nur wegen ein oder zwei lästiger Einschränkungen nicht aufgenommen werden (wobei die häufigste das Verbot der kommerziellen Nutzung der Software ist). Durch das Verbreiten dieser Werke im nicht freien Zweig zeigen wir dem Autor indirekt, dass sein Werk bekannter und häufiger genutzt würde, wenn es in den Hauptzweig aufgenommen werden könnte. Er wird so freundlich eingeladen, seine Lizenz zu diesem Zweck zu ändern.
After a first and unfruitful attempt in 2004, the complete removal of the non-free section is unlikely to return to the agenda, especially since it contains many useful documents that were moved simply because they did not meet the new requirements for the main section. This is especially the case for certain software documentation files issued by the GNU project (in particular, Emacs and Make). Many modern systems further also require so called “firmware“, small binary files, which are necessary to run specific hardware. Many of these files do not meet the requirements for the main or contrib section, and thus remain “non-free“.
In 2022, the project decided in the General Resolution (GR) 2022-003 that in upcoming releases, Debian Bookworm being the first one, the official installation media will contain all firmware files, even if non-free, to enable the use of Debian with hardware that requires such firmware. This major change was ratified with Version 1.2 of the contract.
→ https://www.debian.org/vote/2022/vote_003

Das Beibehalten des unfreien Zweigs stört vor allem die Free Software Foundation. Deshalb weigert sie sich, Debian als Betriebssystem offiziell zu empfehlen.

1.2.2. Die Debian-Richtlinien für freie Software

Dieses Referenzdokument legt fest, welche Software „frei genug“ ist, dass sie in Debian aufgenommen werden kann. Steht die Lizenz eines Programms in Einklang mit diesen Prinzipien, kann es in den Hauptzwieg übernommen werden. Andernfalls, und vorausgesetzt, dass seine freie Verbreitung erlaubt ist, ist es möglicherweise im unfreien Bereich zu finden. Der unfreie Bereich ist kein offizieller Teil von Debian, sondern ein Service, der den Anwendern zusätzlich angeboten wird. Eine tiefergehende Erläuterung der unterschiedlichen Teile des Debian-Archivs findet sich unter VOCABULARY The main, contrib, non-free, and non-free-firmware archives

Dieser Text ist nicht nur ein Auswahlkriterium für Debian, sondern ist zu einer Autorität in Sachen freier Software geworden und hat als Grundlage für die „Open Source“-Definition gedient. Historisch gesehen ist er eine der ersten formalen Definitionen des Konzepts der „freien Software“.

Die GNU General Public License, die BSD-Lizenz und die Artistic License sind Beispiele traditioneller freier Lizenzen, die die in diesem Text aufgeführten neun Punkte beachten. Im Folgenden ist der Text wiedergegeben, wie er auf der Debian-Website veröffentlicht wurde.

→ https://www.debian.org/social_contract.html#guidelines

Unbeschränkte Weitergabe.
Ein Bestandteil der Debian-Distribution darf durch seine Lizenz nicht verhindern, dass irgendjemand diese Software als Bestandteil einer Softwaredistribution, die Programme aus den verschiedensten Quellen enthält, verkauft oder weitergibt. Die Lizenz darf keine Abgaben oder sonstigen Leistungen für einen solchen Verkauf fordern.
Quellcode.
Das Programm muss im Quellcode vorliegen, und es muss die Weitergabe sowohl im Quellcode als auch in kompilierter Form erlaubt sein.
Weiterführende Arbeiten.
Die Lizenz muss Veränderungen und weiterführende Arbeiten gestatten und es erlauben, dass diese unter den gleichen Lizenzbedingungen weitergegeben werden dürfen wie die Original-Software.
Integrität des ursprünglichen Quellcodes.
Die Lizenz darf die Weitergabe von verändertem Quellcode nur dann verbieten, wenn sie die Weitergabe von sogenannten „Patch-Dateien“ mit dem Quellcode erlaubt, die dazu dienen, das Programm vor seiner Herstellung zu modifizieren. Die Lizenz muss ausdrücklich die Weitergabe der aus dem veränderten Quellcode erzeugten Programme erlauben. Die Lizenz darf fordern, dass die veränderten Programme einen anderen Namen oder eine andere Versionsnummer tragen müssen. (Dies ist ein Kompromiss. Die Debian-Gruppe ermutigt alle Autoren, Veränderungen an Dateien sowohl im Quellcode als auch in Binärform zuzulassen).
Keine Diskriminierung von Personen oder Gruppen.
Die Lizenz darf keine Person oder Gruppe von Personen diskriminieren.
Keine Diskriminierung von Einsatzbereichen.
Die Lizenz darf keine Einschränkungen hinsichtlich des Einsatzbereichs vornehmen. Beispielsweise darf sie nicht verhindern, dass das Programm geschäftlich oder für genetische Forschungen verwendet wird.
Weitergabe der Lizenz.
Die mit einem Programm verbundenen Rechte müssen für alle gelten, die das Programm erhalten, ohne dass es für sie notwendig ist, eine zusätzliche Lizenz zu erwerben.
Keine spezielle Lizenz für Debian.
Die mit dem Programm verbundenen Rechte dürfen nicht davon abhängig sein, dass das Programm Teil des Debian-Systems ist. Falls das Programm aus der Debian-Distribution herausgenommen wird und ohne Debian genutzt oder vertrieben werden soll, ansonsten aber im Rahmen der Programmlizenz bleibt, so müssen alle Parteien, die das Programm bekommen, die gleichen Rechte haben, wie sie im Zusammenhang mit dem Debian-System gewährt wurden.
Keine Auswirkungen auf andere Programme.
Die Lizenz darf keine Beschränkungen enthalten, die Auswirkungen auf andere Software hat, die mit diesem Programm weitergegeben wird. Beispielsweise darf die Lizenz nicht vorschreiben, dass alle anderen Programme auf dem gleichen Medium freie Software sein müssen.
ZURÜCK ZU DEN GRUNDLAGEN Copyleft
Copyleft ist ein Grundsatz, der darin besteht, Urheberrechte zur Gewährleistung der Freiheit eines Werkes und seiner Derivate zu verwenden, statt die Nutzungsrechte zu beschränken, wie es bei proprietärer Software der Fall ist. Es ist auch ein Wortspiel mit dem Begriff „Copyright“. Richard Stallman kam auf diese Idee, als ein Freund, der Wortspiele liebt, auf einen an ihn adressierten Umschlag „Copyleft: all rights reversed“ schrieb. Copyleft erzwingt die Bewahrung aller ursprünglichen Freiheiten bei der Verbreitung einer originären oder modifizierten Version eines Werkes (üblicherweise ein Programm). So ist es nicht möglich, ein Programm als proprietäre Software zu vertreiben, wenn es von Code eines unter Copyleft veröffentlichten Programms abgeleitet ist.
Eine der bekanntesten Familien von Copyleft-Lizenzen ist natürlich die GNU General Public License (GPL) und deren Ableger, die GNU Lesser General Public License (LGPL) und die GNU Free Documentation License (GFDL). Leider sind die Copyleft-Lizenzen untereinander nicht kompatibel. Deshalb ist es am besten, nur eine von ihnen zu verwenden.
Beispiellizenzen
Die Lizenzen "GPL", "BSD" und "Artistic" sind Beispiele für Lizenzen, die wir für "frei" halten.
ZURÜCK ZU DEN GRUNDLAGEN Freie Lizenzen
Die GNU GPL, die BSD-Lizenz und die Artistic License entsprechen alle den Debian-Richtlinien für freie Software, obwohl sie alle sehr unterschiedlich sind.
The GNU GPL, used and promoted by the FSF (Free Software Foundation), is the most common. Its main feature is that it also applies to any derived work that is redistributed: a program incorporating or using GPL code can only be distributed according to its terms. It prohibits, thus, any reuse in a proprietary application. This poses serious problems for the reuse of GPL code in free software incompatible with this license. As such, it is sometimes impossible to link a program published under another free software license with a library distributed under the GPL. On the other hand, this license is very solid in American law: FSF lawyers have participated in the drafting thereof, and have often forced violators to reach an amicable agreement with the FSF without going to court.
→ https://www.gnu.org/copyleft/gpl

Die BSD-Lizenz ist die am wenigsten einschränkende: Alles ist erlaubt, einschließlich der Verwendung modifizierten BSD-Codes in einer proprietären Anwendung.
→ https://www.opensource.org/licenses/bsd-license.php

Schließlich stellt die Artistic License einen Kompromiss zwischen den anderen beiden dar: Einbeziehung von Code in einer proprietären Anwendung ist erlaubt, jedoch muss jegliche Veränderung offengelegt werden.
→ https://www.opensource.org/licenses/artistic-license-2.0.php

Der vollständige Text dieser Lizenzen steht auf jedem Debian-System unter /usr/share/common-licenses/ zur Verfügung (im Falle von BSD die neuere 3-Klausel-Lizenz).

GEMEINSCHAFT Bruce Perens, ein umstrittener Leiter

Bruce Perens war der zweite Leiter des Debian-Projekts direkt nach Ian Murdock. Wegen seiner dynamischen und autoritären Methoden war er sehr umstritten. Dennoch bleibt er ein wichtiger Unterstützer des Projekts, dem Debian insbesondere für das Editieren der bekannten „Debian-Richtlinien für freie Software“ zu Dank verpflichtet ist, einer ursprünglich auf Ean Schuessler zurückgehenden Idee. Anschließend leitete Bruce daraus die bekannte „Open-Source-Definition“ ab, bei der er alle Verweise auf Debian entfernte.

→ https://www.opensource.org/

Sein Ausscheiden aus dem Projekt verlief recht emotional, aber Bruce blieb Debian eng verbunden, indem er weiterhin in politischen und wirtschaftlichen Kreisen für diese Distribution warb. Er taucht auch noch sporadisch in den Mailing-Listen auf, um Ratschläge zu geben und seine jüngsten Initiativen zugunsten von Debian vorzustellen.

Last anecdotal point, it was Bruce who was responsible for inspiring the different “codenames” for Debian versions (1.1 — Rex, 1.2 — Buzz, 1.3 — Bo, 2.0 — Hamm, 2.1 — Slink, 2.2 — Potato, 3.0 — Woody, 3.1 — Sarge, 4.0 — Etch, 5.0 — Lenny, 6.0 — Squeeze, 7 — Wheezy, 8 — Jessie, 9 — Stretch, 10 — Buster, 11 — Bullseye, 12 — Bookworm, 13 (not released yet) — Trixie, Unstable — Sid). They are taken from the names of characters in the Toy Story movie. This animated film entirely composed of computer graphics was produced by Pixar Studios, with whom Bruce was employed at the time that he led the Debian project. The name “Sid” holds particular status, since it will eternally be associated with the Unstable branch. In the film, this character was the neighbor's child who always broke toys — so beware of getting too close to Unstable. Otherwise, Sid is also an acronym for “Still In Development”.